31.03.2014

„Zitronensaftfall“ muss erneut verhandelt werden

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Revision des Angeklagten - einem ehemaligen Chefarzt einer Wegberger Klinik - das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 15. Januar 2010 - 27 Ks 2/10, durch das er wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten mit Bewährung verurteilt worden war, aufgehoben.

Nachdem bei einer Patientin, bei der der Angeklagte eine Darmoperation kunstgerecht durchgeführt hatte, eine massive Wundheilungsstörung aufgetreten war, nahm der Angeklagte eine zweite Operation (sog. Reoperation) vor und verwendete bei der Wundversorgung neben herkömmlicher Medikamente mehrfach Zitronensaft, den er unter nicht sterilen Bedingungen in der Stationsküche gewinnen ließ. Der Angeklagte glaubte an eine desinfizierende Wirkung des Zitronensaftes. Vor dem ersten Eingriff informierte der Angeklagte die Patientin nicht über einen möglichen Einsatz von Zitronensaft bei einer eventuell postoperativ auftretenden Wundinfektion. Auch nach dem zweiten Eingriff informierte er die Patientin über dessen tatsächlichen Einsatz nicht. Rund zwei Wochen nach dem ersten Eingriff verstarb die Patientin in Folge einer Wundinfektion. Dass die Verwendung des Zitronensaftes hierfür mitursächlich geworden wäre, konnte vom Landgericht jedoch nicht festgestellt werden. Da nach dessen Ansicht der Angeklagte die Patientin über den möglichen Einsatz von Zitronensaft schon vor der ersten Operation habe aufklären müssen, sei bereits die Einwilligung der Patientin in die Vornahme des Eingriffes unwirksam gewesen. Mithin hatte das Landgericht diesen ersten Eingriff bereits als rechtswidrige Körperverletzung gewertet. Der Angeklagte wurde der Körperverletzung mit Todesfolge für schuldig befunden.

Anders sah dies der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil. Danach war der Angeklagte nämlich nicht zur entsprechenden Aufklärung - vor dem ersten Eingriff - verpflichtet. Ist ein ärztlicher Heileingriff mit dem Risiko verbunden, dass dieser eine weitere behandlungsbedürftige Erkrankung oder körperliche Schädigung hervorruft, muss der Arzt den Patienten schon vor einem ersten Eingriff über die Art und die Gefahren einer notwendigen Nachbehandlung nur dann aufklären, wenn diesem ein schwerwiegendes, die Lebensführung eines Patienten besonders belastendes Risiko anhaftet, etwa der Verlust eines Organs.

Hier hat eine solche Konstellation jedoch nicht vorgelegen. So war die Behandlung einer Wundheilungsstörung mit Zitronensaft schon nicht die einzig mögliche. Zunächst war nämlich auf die Alternative der Verabreichung von Antibiotika zurückgegriffen worden. Außerdem war nach Eintritt der Wundinfektion grundsätzlich noch genügend Zeit vorhanden, um die Patientin auf den beabsichtigten Einsatz von Zitronensaft hinzuweisen und sie die Wahl zwischen der alleinigen Verabreichung von Antibiotika oder dem zusätzlichen Einsatz von Zitronensaft treffen zu lassen. Trotz ihrer erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen war die Patientin sogar noch in der Lage, eigenverantwortlich ihre Einwilligung in die Reoperation zu erteilen. Mit dem Einbringen des unsterilen Zitronensaftes in die Wunde war als maßgebliches Risiko ausschließlich eine gewisse zusätzliche bakterielle Belastung verbunden. Dies ist nicht mit der Gefahr für die künftige Lebensführung eines Patienten vergleichbar, dem durch die Nachbehandlung etwa ein Organverlust droht. Das Landgericht hat auch keinen hinreichenden Anhalt dafür gefunden, dass der Einsatz des Zitronensaftes mitursächlich für den Tod der Patientin geworden wäre. Bei dieser Sachlage war der Angeklagte auch nicht allein deshalb verpflichtet, schon vor der ersten Operation auf die eventuelle spätere Verwendung von Zitronensaft zur Behandlung einer möglichen Wundinfektion hinzuweisen, weil der von ihm erwogene Einsatz dieser unerprobten Außenseitermethode bei der Patientin Zweifel an seiner Fachkompetenz hätten wecken können mit der Folge, dass sie den Eingriff nicht vom Angeklagten hätte vornehmen lassen.

Damit hat sich der Angeklagte lediglich durch die Zweitoperation wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht, da er es pflichtwidrig unterließ, die Patientin vor diesem Eingriff über das von ihm hierbei beabsichtigte Einbringen von Zitronensaft in die Wunde aufzuklären. Die insoweit erteilte Einwilligung der Patientin war daher unwirksam. Dem Angeklagten kann jedoch keine Körperverletzung mit Todesfolge angelastet werden, da weder die Zweitoperation noch der Einsatz des Zitronensaftes zum Eintritt des Todes beigetragen haben. Es ist dennoch nicht ausgeschlossen, dass dem Angeklagten in Verbindung mit der Erstoperation ein Behandlungsfehler unterlief oder er die Patientin vor dieser in anderer Hinsicht nicht ausreichend aufklärte, sodass eine entsprechende Umstellung des Schuldspruchs nicht möglich war. Somit kommt eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge auf anderer Tatsachengrundlage in Betracht. Die Sache muss nun vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach erneut verhandelt werden.

BGH, Urteil des 3. Strafsenats vom 22.12.2010 - 3 StR 239/10